Cis-binäre Normalitäten
Menschen nehmen häufig nicht wahr, welche Hindernisse und Probleme sie nicht haben, weil die Welt quasi „wie für sie gemacht ist“, nämlich für cis1-binär1-dyadische1 (und natürlich2 auch weiss, abled, autochton, hetero, usw.), oft „die Mehrheit“ genannt.
Falls du zu dieser Mehrheit gehörst, kannst du im folgenden mal schauen, welche Privilegien du im Vergleich zu trans, nicht-binären, inter und queeren Menschen geniesst. Nein, das gibt Dir keine Vorteile innerhalb der Mehrheit, aber im Gegensatz zu „uns“ brauchst du keine Energie zusätzlich aufzuwenden.
Entscheidend dabei ist, dass diese Privilegien ausschliesslich darauf beruhen, wie du „gelesen“ wirst, also wie andere dich einsortieren. Die Probleme und Diskriminierungen entstehen nicht dadurch, wie eine Person ist, sondern wie andere handeln.
Falls du wissen möchtest, welche Aufwände und Widerstände „wir“ zusätzlich haben, empfehle ich die „kleine Liste von Regeln und Hürden für binäre und nicht-binäre trans Personen„.
Alltagstätigkeiten
- Du kannst öffentliche Einrichtungen wie z.B. Toiletten und Umkleiden bei Sport und im Kaufhaus benutzen, ohne Angst vor Anstarren, Beschimpfungen, Beklemmungen, „Falsch hier“ Bemerkungen, verbaler und/oder physischer Gewalt, Problemen mit Ordnungpersonen. Du kannst einfach aus einer Laune heraus mit deinen Freund•innen unterwegs sein und weißt, dass es Toiletten gibt, die du nutzen kannst.
- Du kannst Kleidung, Schuhe, Accessoires kaufen, ohne dass dir der Service verwehrt wird, die Verkäufer•innen sich über dich lustig machen oder du nach deinen Genitalien befragt wirst. Das Angebot enthält ausreichend Auswahl in passenden Größen.
- Du kannst relativ unaufällig durch die Welt laufen. Du wirst nicht andauernd angestarrt, es wird nicht über dich getuschelt, auf dich gezeigt oder über dich gelacht aufgrund deines geschlechtlichen Ausdrucks. Insbesondere brauchst du wegen deines geschlechtlichen Ausdrucks keine Gewalt zu befürchten.
Behörden und Institutionen
- Du kannst in Formularen dein Geschlecht bzw. deine Anrede auswählen. Niemand widerspricht deinen Angaben.
- Niemand bewzeifelt deine Ausweispapiere oder verweigert dir deswegen Dienstleistungen in Krankenhaus, Bank, Post oder anderen Institutionen. Du hast keine Beklemmungen, sie vorzuzeigen.
- Du kannst davon ausgehen, dass du einen Job bekommst, eine Wohnung mieten kannst oder einen Kredit aufnehmen, ohne dass dir dies aufgrund deiner Geschlechtsidentität/-ausdrucks abgesprochen wird.
- Du kannst dich bei Sportvereinen anmelden und dich dort Gruppen, Teams oder Ligen zuordnen. Deine Zuordnung wird nicht in Frage gestellt.
- Sicherheitskontrollen bereiten dir keine Sorgen, aufgrund deiner geschlechtlichen Identität oder deines Körpers falsch behandelt zu werden
- Falls du Kinder hast bist du in den Geburtsurkunden mit dem richtigen Namen und Geschlecht eingetragen. Kitas und Schulen erkennen deinen Status und Elternschaft problemlos an.
Medizin
- Deine Identität wird nicht in medizinischen Katalogen geführt (z.B. ICD 10 „gender identity disorder“)
- Du musst dich keiner umfassenden psychologischen Einschätzung unterziehen, um grundlegende medizinische Versorgung zu erhalten.
- Du kannst davon ausgehen, dass Mediziner•innen sich mit deinen Themen auskennen und du angemessene Behandlung bekommst.
- Die Organisation von Praxen, Krankenhäusern und Rettungsdienst kann dich problemlos unterbringen.
Rechtfertigung und Existenz
- Du musst deine Eltern / Familie nicht von deinem Geschlecht überzeugen und•oder dir erst die Liebe und den Respekt deiner Eltern und Geschwister neu verdienen.
- Du musst niemanden andauernd daran erinnern den richtigen Namen und die richtigen Pronomen zu verwenden.
- Du kannst annehmen, dass alle, die du triffst deine Geschlechtsidentität verstehen und nicht denken, du seist verwirrt oder verdammt.
- Unbekannte Menschen gehen nicht davon aus, dass sie dich nach deinen Genitalien oder deinem Sexleben fragen dürfen.
- Unbekannte Menschen reden dich mit dem Namen an, den du ihnen sagst und fragen dich nicht nach deinem „richtigen Namen“ (Geburtsname), mit der Annahme, dass sie das Recht haben dich dann so anzureden.
- Falls du religiös bist hat deine Religion keine Probleme mit deiner Existenz, deiner Identität, deiner Sexualität oder Familienleben.
Repräsentation
- Du fühlst dich bei allgemeinen Anreden und Anschreiben jeweils mitgedacht und angesprochen.
- Du findest Vorbilder und Vordenker•innen mit deiner Identität, denen du nacheifern kannst.
- In Fersehen, Filmen und Büchern werden Menschen deines Genders richtig dargestellt und deine Geschlechts-Identität nicht lediglich in den Fokus gerückt, wenn es um dramatische Handlungen oder Pointen in einem Witz geht
- Dokumentationen bezüglich deines Genders bezweifeln nicht deine Existenz, deine Berechtigung so zu leben, deinen Anspruch auf Teilhabe und Respekt. Sie stellen dich nicht als Krankheitsbild oder exotische Kuriosität dar
- Dein Gender wird in Statistiken und Umfragen berücksichtigt
Beziehungen und Sexualität
- Wenn du eine Person datest, kannst du davon ausgehen, dass sie dich nicht als Kuriosität oder Fetisch ausgesucht hat (z. B. nur um einmal Sex mit einer trans Person gehabt zu haben).
- Du kannst Orte und Veranstaltungen betreten, die nur für ein binäres Geschlecht sind und wirst nicht aufgrund von trans sein ausgeschlossen. Du musst nicht verteidigen auch Teil von „Queer“ zu sein. Schwule und Lesben werden nicht probieren dich auszuschließen von „ihrem“ Kampf um gleiche Rechte, aufgrund deiner Geschlechtsidentität.
- Du kannst flirten, unverbindlichen Sex haben oder jede Art von Beziehung eingehen ohne zu fürchten, dass du aufgrund deines biologischen Status’ zurückgewiesen oder attackiert wirst, noch wird es deine•n Partner•in dazu bringen seine•ihre sexuelle Orientierung infrage zu stellen.
- Wenn du Opfer eines Verbrechens wirst, wird dein geschlechtlicher Ausdruck nicht als Rechtfertigung genutzt („gay panic“, „trans panic“), noch als Grund die Täter•innen zu entschuldigen.
- Deine Glaubwürdigkeit als Mann•Frau•Mensch hängt nicht davon ab, wie viele Operationen du hattest oder wie gut dein Passing3 ist.
- Du wirst auf der Straße nicht als Sex-Arbeiter•in aufgrund deines geschlechtlichen Ausdrucks eingeordnet.
- Du kannst weiterhin behaupten, dass Anatomie und Geschlecht unumstößlich miteinander zusammenhängen, wenn du mit Kindern darüber redest, anstatt die Komplexität des Themas zu erklären.
1) cis, binär, dyadisch sind das Gegenstück zu trans, a_binär und inter, also Menschen, die mit ihrem bei Geburt zugeordneten Geschlecht zufrieden sind, eindeutig Mann oder Frau sind und körperlich „eindeutig“, was Geschlechtsmerkmale angeht.
2) Viele der Benachteiligungen, Diskriminierungen und Anfeindungen sind übergreifend, d.h. für verschiedene Merkmalsgruppen ähnlich. Ausserdem können Menschen mehrfach betroffen sein, zum Beispiel wenn sie als trans / queer und nicht-weiss o.ä. gelesen werden.
3) „Passing“ (engl. „durchgehen“, „(Test) bestehen“) bedeutet, von anderen äusserlich „richtig“ einsortiert zu werden, also als „Mann“ oder „Frau“, so wie du selbst dich identifizierst. Nicht-binäre Personen können quasi nie „passen„, weil die meisten Menschen gar nicht auf die Idee kommen, weder Mann noch Frau vor sich zu haben.