„Gibt es Unterschiede zwischen den Gehirnen von Männern und Frauen? Nein, sagt die Neurowissenschaftlerin Lise Eliot. Ein Gespräch über Hirntransplantation, Neurosexismus und Kindererziehung.“
Lise Eliot, https://sciencenotes.de/unterschiede-gehirne-maenner-frauen/
Sehr interessant ausgedröselt. Die Unterschiede verschwinden, wenn der statistisch typische 10% Größenunterschied herausgerechnet wird:
Die Amygdala spielt eine entscheidende Rolle beim Erleben von Emotionen. Forscherinnen waren also überzeugt, dass sich da ein Geschlechterunterschied zeigen müsste, das passte einfach sehr gut in ihr Weltbild. In unserer Meta-Analyse fanden wir aber keinen Geschlechterunterschied mehr, sobald wir den Größenunterschied zwischen den Gehirnen beachteten. Das gilt für alle Strukturen – rechnet man ihn heraus, lassen sich männliche und weibliche Gehirne nicht mehr unterscheiden.
Dann geht es um das „Mosaik“ im Hirn:
[fMRT Bilder von Gehirnen bei der Arbeit] Sie fanden, dass es bei allen untersuchten neuronalen Strukturen große Überschneidungen zwischen Frauen und Männern gab. Laut Joel bestehen Gehirne aus einzigartigen »Mosaiken« von Merkmalen. Manche Merkmale kommen häufiger bei Frauen vor als bei Männern. Andere bei Männern häufiger als bei Frauen. Und dann gibt es noch solche, die sowohl bei Frauen als auch bei Männern vorkommen. Joel und ihre Kolleginnen befragten die Teilnehmerinnen außerdem nach Persönlichkeitsmerkmalen, Einstellungen, Interessen und Verhaltensweisen. Dabei zeigten sich, in Übereinstimmung mit den Gehirnscans, große Überschneidungen zwischen Frauen und Männern.
Joel spricht da von relativer Maskulinität oder relativer Feminität, und zwar auf vielen verschiedenen Dimensionen. Wir als Gesellschaft gehen zum Beispiel davon aus, dass enge und emotionale Beziehungen eher weiblich sind. Ein stereotypisch weiblicher Charakter wäre eher sozial und empathisch. Rationales, analytisches Denken stufen wir eher als männlich ein. Dabei kann eine Person sehr »feminin« sein in der Art, sich zu kleiden, und sehr »maskulin« in der Art, wie sie denkt. Ihre Beziehungen können eher weiblich sein, aber ihre Interessen eher männlich. Wir denken leider sehr stark in Kategorien, während meiner Meinung nach das Geschlecht ein Spektrum oder viele Spektren ist, wie das Mosaik, das Daphna Joel beschreibt.
Ganz wichtig dabei: Die Zuordnung von „Persönlichkeitsmerkmalen, Einstellungen, Interessen und Verhaltensweisen“ zu „weiblich“ und „männlich“ ist ziemlich willkürlich und, das kommt später im Artikel, durch den Einfluss der Umwelt seit frühester Kindheit erzeugt und verstärkt.
Es könnte also sein – Beginn eigener Hypothese – dass viel von unserem Gendertrouble, von Crossdressing bis trans, dadurch entsteht, dass wir unser Hirn-Mosaik und den Druck so zu sein, wie wir sind, irgendwie mit der hiesigen, ziemlich scharf zweigeteilten, unterschiedlichen Lebensvorschrift für „Mann“ und „Frau“ in Einklang zu bringen versuchen und je nach Differenz unseres Mosaiks und unserer Verhaftung an den Normen unterschiedliche Lösungen finden.
Dazu passend habe ich gerade gestern mal wieder Abigail Thorns PhilosophyTube über „Social Constructs (or, ‚What is A Woman, Really?‘)“ gesehen youtube. Sollte spätestens mit deutschen Untertiteln gut zu verstehen sein und lohnt sich wie immer. „Homeostatic property cluster“ (mmmwwwrrr 🙂 ), „homöostatische Eigenschaftsbündel“ führt direkt zu Stereotypen, Zuschreibungen, Vorurteilen – und ihrer Willkürlichkeit.
Zurück zum verlinkten Artikel: Sehr fein formuliert auch die Abschnitte Discussion und Conclusion in „Dump the “dimorphism“: Comprehensive synthesis of human brain studies reveals few male-female differences beyond size“, das im Artikel angesprochen wird:
Despite clear behavioral differences between men and women, s/g differences in the brain are small and inconsistent, once individual brain size is accounted for. Most neuroscientists assume this
ambiguity will be solved through technical improvements: that larger studies, using higher resolution imaging and better processing pipelines will uncover the “real,” or species-wide differences between male and female brain structure and connectivity patterns. However, the present synthesis indicates that such “real” or universal sex-related difference do not exist. Or at best, they are so small as to be buried under other sources of individual variance arising from countless genetic, epigenetic, and experiential factors. […]
In layperson’s terms, these findings can be interpreted as rebutting popular discourse about the “male brain” and “female brain” as distinct organs.
„Für den Laien können diese Ergebnisse so interpretiert werden, dass sie die landläufige Meinung über das „männliche Gehirn“ und das „weibliche Gehirn“ als unterschiedliche Organe widerlegen“.
Ähnlich und etwas mehr Erklärung der damaligen Studienlage gab’s 2018 bei MaiLab: „Männliches vs weibliches Gehirn“ bei youtube oder ARD-Mediathek. Da taucht auch die Normalität der Mosaik-Hirne auf, bei der allerdings wie gesagt beachtet werden muss, dass „männlich“ und „weiblich“ eine willkürliche Zuordnung zu den vermessenen Eigenschaften ist. Dazu auch ein Blog-Beitrag. Mai Ti hat auch eine Folge über „Die Wissenschaft hinter Transgender“ gemacht: youtube(mit Quellen) und ARD.