Eine kleine Liste von Regeln und Hürden für binäre und nicht-binäre trans Personen

Meint: Was trans Personen so an Aufwänden und Widerständen zu bewältigen haben, um einfach nur gemäß der “freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit” nach zu leben. Siehe auch “WelchePrivilegien“.

Entstanden, nachdem eine cis Person sehr verwundert über das Blutspendeverbot für trans (und andere) war. Weitere Beispiele werden gerne genommen.

Für Personenstand, geänderte Vornamen, Papier, etc:

  • Neuer Personenstand und Vorname nur per Gerichtsbeschluss, mit zwei gerichtlich bestellten psychologischen Gutachten (Kosten: 1500-2000€).
    Dabei ist unter Fachleuten Konsens, dass eine Geschlechtsidentität nicht wirklich getestet oder begutachtet werden kann. Viele Gutachtys “testen” deshalb eher auf Klischeetreue, sprich: Dass die Person wie eine Klisscheefrau bzw Klischeemann dort aufläuft und die passende Rolle “vortanzt”, inklusive “passender” Kindheit.
  • Bei nicht-binären gibt es quasi nichts zu begutachten. Wie soll ein Mensch “beweisen”, weder als Mann, noch als Frau zugeordnet werden zu wollen, bzw dass die Zuschreibungen und Klischees psychischen Druck verursachen?
    Deshalb sind auch kaum Therapeutys oder Gutachtys dafür zu finden und ihre Qualität sehr dürftig.
  • Die Möglichkeit, als nicht-binäre trans Person den Personenstand “divers” oder “Streichung” per TSG zu erlangen, ist deshalb bisher eher theoretisch.
    Auch wenn der BGH dies eigentlich durch ein Urteil in 2020 eröffnet hat.
  • Alle Kosten und Aufwände für die Änderungen von Konten, Verträgen, Versicherungen, Autos, Führerscheine, Pässe und Ausweise, Zeugnisse. Eigene Grundbucheinträge ändern ist… diffizil.
  • Beim Wechsel weg von und nach “männlich” wird eine neue Rentenversicherungsnummer fällig. Darin ist nämlich der amtliche Gendermarker kodiert.
    Übrigens nach dem Schema “50% für männlich, der Rest für .. den Rest” (also inkl “divers” und “ohne Eintrag”)
  • Name und Anrede bei Firmen, etc. ändern geht auch in unsinnigen Fällen häufig erst mit neuer Geburtsurkunde. Selbst bei Ärztys für die Transition.
  • Eigentlich dürfen die alten Namen nach Gerichtsbeschluss nicht offenbart werden. Da das Verbot aber nicht strafbewehrt ist, muss im Zweifelsfall zivil auf Schadenersatz / Schmerzensgeld geklagt werden.
  • Bei der Eheurkunde kann das Standesamt die Änderung einfach ablehnen
  • Elternschaft bei Paaren mit trans Personen: Absolutes rechtliches Nebelgebiet.
  • Gebärende trans Männer werden als Mütter eingetragen. usw.
  • Peronen mit “divers” können möglicherweise amtlich keine Eltern werden.
  • Bei Elternschaft innerhalb x Monaten nach Personenstandsänderung kann der Wechsel u.U. zwangsweise rückabgewickelt werden.

    Nicht vergessen: Das TSG (“Transsexuellengesetz”) von 1981 war vor allem als Gesetz zur Verhinderung von Ehen (und Kindern) ausserhalb der cis-hetero-binären Norm gemacht.
    Immerhin konnten Zwangssterilisation und Zwangsscheidung über das Verfassungsgericht aus dem Gesetzt rausgeklagt werden.
    Die Gutachtenpflicht ist die letzte wackelige Säule.
  • Blutspende ist verboten. Trans Personen gelten pauschal als promisk, Sex-Risikogruppe und_oder Sexworker…
  • Jetzt ggf Zwangsouting bei den Corona Impfnachweisen, weil nur mit – u.U. gar nicht mehr stimmigem – Ausweis gültig
  • Bestimmte Jobs sind nicht mehr zugänglich.
    Bis vor kurzem z.B. Polizei und Zoll: Männliche Personen mussten Hoden vorweisen können, um eingestellt zu werden, was transmännliche und bestimmte inter Personen ausschliesst.
  • Verbeamtung und “sicherheitsrelevante” Jobs sind u.U gesperrt, weil eine trans Person ja (Zwangs)Psychotherapie hatte.
  • Schutzräume für Frauen sind auch gerne trans-abweisend.

Für körperliche Angleichungsmassnahmen:

  • Zwangstherapie. Erst mal 12 Sitzungen Psychotherapie und zwar am Stück von kassenmässig anerkannter Fachperson, bevor die Krankenkasse auch nur irgendwas bewilligt (s. BGA des MDS). Therapieplätze sind kaum zu kriegen, viele trans Personen brauchen keine und belegen damit Ressourcen.
  • Für viele OPs wollen die Kassen bis zu 18 Monate Therapie für die Bewilligung nachgewiesen haben. Wie gesagt: Am Stück. Therapeuty wechseln o.ä. macht häufig Probleme
  • Nur wenige Therapeutys sind real für trans qualifiziert. Es gibt keine formale Qualifikation, was gut und schlecht zugleich ist.
  • Psychologische Indikationen notwendig für alles und zwar einzeln: Hormontherapie, Epilation, genitale Angleichungen, Brust-Aufbau bzw Mastektomie, Logopädie, Hysterektomie, usw.
  • Alltagstest. Eigentlich abgeschafft, aber einige Therapeutys wollen den immer noch.
    D.h. 6-12 Monate “100% im Geschlecht leben” – bevor irgendwelche Massnahmen bewilligt werden, bzw Zwangstherapeuty die Indikation ausstellt.
    Im Klartext: Coming out von jetzt auf gleich, in Job, Familie, Umfeld, inklusive Kleidung etc., ohne zB Epilation oder Hilfsmittel wie Binder bezahlt zu bekommen.
  • Für nicht-binäre zahlen Kassen erst mal nix, gemäss ihrer sich selbst gegebenen Richtlinien (BGA des MDS). D.h. es wird pauschal abgelehnt und muss dann einzeln mit Gutachten eingeklagt werden.
  • Vorsorgeuntersuchungen. Krankenkassen gehen idR nach eingetragenem Gendermarker. Aber einige Menschen haben Brüste und Prostata und_oder Penis und_oder Hoden.
    Automatisch benachrichtigt wird normalerweise auch nicht.
  • Die meisten Ärtzys kenenn sich mit trans Anatomie nicht aus, was zu Fehlbehandlungen und Schmerzen führen kann.

Mindestens während der Transition und für nicht-binäre quasi immer:

  • In öffentlichen, gegenderten Räumen angegriffen oder rausgeworfen werden: Toiletten, Umkleiden, Läden, Schwimmbäder, Saunen, …
  • Falsche Zuordnung oder Abweisung in Kliniken, bei Polizei und Sicherheitskontrollen.
  • Aus Sportvereinen rausfliegen und nirgendwo aufgenommen werden
  • Nicht wenige werden nach Start der Transition unter fadenscheinigen Gründen im Job gekündigt

Wer das Kassensystem umgehen will oder muss (nicht-binär), also selbst zahlen:

  • Hormon-Umstellung, lebenslang, ca. 500+€/Jahr
  • Epilation (Gesicht, Körper): 5000-25000€, je nach Behaarung und Haarart/farbe
  • Personenstand / Vornamen: s.o., ca. 2000€
  • Genital-OPs je nach Art und Umfang: 10000-25000€.
    Tw. mehrere Teil-OPs nötig
  • Brust-OPs je nachdem (Aufbau, Entfernung): 10000-15000€
  • Auch bei selbstgezahlten OPs und Hormon-Umstellungen wollen die Ärztys idR psychologische Indikationen, die irgendwie realisiert und bezahlt werden müssen
  • zu anderen Angleichungsmassnahmen habe ich keine Zahlen, also zB Logopädie, Gesichtsform, Stimmbänder, Adamsapfel, usw.

So viel zu “die machen das aus Jux und Tollerei / wegen der Aufmerksamkeit” usw.

(Danke an die Menschen von TG Deutschland Discord und Fetlife für ihre Beiträge)

(c) CC0 – d.h. gerne nehmen und weiterverwenden.

“Technisch gendern”? Gut gemeint, nicht gut gedacht

Gerade wurde mir der Artikel “Gendern smart gelöst: Eine technische Lösung für PDF-Publikation und Content Delivery im Web” zugeleitet, den ich erst interessiert, dann amüsiert und dann nach einigen Überlegungen mit sehr viel Stirnrunzeln noch mal gelesen habe.

Worum geht’s? Die technische Lösung heisst, dass “gegenderte” Phrasen on the fly umgeschaltet werden können. Wo jetzt “Leser und Leserinnen” steht, macht ein Klick daraus “Leser*innen”, “Leserinnen”, “Lesende” – oder “Leser”. Die endgültige Form soll nicht von der Quelle vorgegeben, sondern auf der lesenden Seite wählbar sein, vorzugsweise als Präferenz gespeichert in den persönlichen Einstellung der Empfangsperson.

Flächendeckend eingeführt bekämen also alle zukünftig jeden Artikel in genau ihrer bevorzugten Weise gegendert angezeigt.

Auf den ersten Blick ist die Idee bestechend: “Das Problem unterschiedlicher Vorlieben” – und genau darauf reduziert die Firma das Thema – wird an die Lesenden ausgelagert. Konflikt kann nicht mehr auftreten, weil er gar nicht mehr wahrgenommen wird. Die angesprochenen Probleme der komplexen deutschen Grammatik liessen sich bestimmt auch lösen.

In Wirklichkeit löst diese Idee allerdings gar nichts. Sie blendet nur aus. Das ist natürlich für Schreibende eine riesige Erleichterung, weil sie sich als Primärziel des Ärgers aus dem Thema herausziehen können.

Tatsächlich macht diese Technik aber nicht nur den Konflikt unsichtbar, sondern auch die Menschen, wegen deren Bedürfnisse in der Realität diese Diskussion stattfindet.

Ich als nicht-binäre Person würde bei allen Formen ausser vielleicht “Leser*innen” nicht nur sprachlich ausgeblendet, sondern auch gedanklich. So wie in der Vergangenheit. Wer für sich eine andere Präferenz anklickt, würde meine Existenz nicht mehr für möglich halten – und in den Handlungen auch nicht berücksichtigen.

Das wiederum beträfe mich in der Folge dann ganz direkt. Bei Eingabeformularen, Webshops, Toiletten, in Schuh- und Bekleidungsläden, Umkleiden, Sportvereinen, usw., wo nicht-binäre Bedürfnisse zu fast 100% schlicht nicht vorkommen.

Mit anderen Worten: Mein Nicht-Vorkommen ist eine Folge des Denkens derjenigen, die nicht selbst betroffen sind. Und so wie es mir geht, geht es allen, die normalerweise sprachlich nicht vorkommen – und damit auch nicht gedanklich. Frauen in bestimmten Berufen und Positionen[1], Menschen mit besonderen Bedürfnissen[2], usw.

Die genderneutralen (“Lesenden”) bzw. genderinklusiven (“Leser•innen”) Formen sind explizit dazu da, Menschen an Stellen sichtbar zu machen, an denen sie bisher nicht bedacht bzw. mitgedacht werden.

Und zwar extra für diejenigen, die nicht selbst betroffen sind.

Wenn diese Menschen sich – am besten noch per Voreinstellung – alle Texte auf den Stand des letzten Jahrhunderts zurückklicken können, geht dies am Zweck der Formen und dem zugrundeliegenden Problem als Ursache vorbei. Die Lesenden bekommen eine individualisierte Scheinwelt vorgespielt.

Die technische Lösung vertieft bzw. verlängert also die Spaltung, statt tatsächlich etwas zu lösen. Und schlimmer noch: Sie könnte als “Argument” verwendet werden, dass doch jetzt alle zufrieden sein sollen.

Einfacher wäre an vielen Stellen, wenn qualifizierte Menschen von vornherein bewusst inklusiv texten würden. Und da könnte Software meiner Ansicht nach tatsächlich helfen: Indem sie Stil, Formulierungen, Sprache und Layout auf Inklusivität und Barrieren prüft und Verbesserungen vorschlägt.

—–

[1] Die Studien zum impliziten Gender-Bias bei Berufen, etc. sind vermutlich bekannt.
[2] Betrifft bei Texten zum Beispiel Farbe sehen, Kontrast, leichte Sprache, Eignung für Vorlesesoftware.

maiLab: Weibliches vs männliches Gehirn(?)

Video: https://www.youtube.com/watch?v=xt2Bgkqk71I (yt, 2018)

Quellen dazu aus der Beschreibung kopiert.

Brain Basics

Das plastische Gehirn: “The brain is the source of behavior, but in turn it is modified by the behaviors it produces.” Zatorre, Robert J., R. Douglas Fields, and Heidi Johansen-Berg. “Plasticity in gray and white: neuroimaging changes in brain structure during learning.” Nature neuroscience 15.4 (2012): 528. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3660656/pdf/emss-48836.pdf

Auf die Größe kommt’s an

Die bisher umfangreichste Studie: Ritchie, S. J., Cox, S. R., Shen, X., Lombardo, M. V., Reus, L. M., Alloza, C., … & Liewald, D. C. (2018). Sex differences in the adult human brain: evidence from 5216 UK Biobank participants. Cerebral Cortex, 28(8), 2959-2975. https://academic.oup.com/cercor/article/28/8/2959/4996558

Verschieden vernetzt

Ingalhalikar, M., Smith, A., Parker, D., Satterthwaite, T. D., Elliott, M. A., Ruparel, K., … & Verma, R. (2014). Sex differences in the structural connectome of the human brain. Proceedings of the National Academy of Sciences, 111(2), 823-828. http://www.pnas.org/content/pnas/early/2013/11/27/1316909110.full.pdf

Kritische Antwort: Joel, Daphna, and Ricardo Tarrasch. “On the mis-presentation and misinterpretation of gender-related data: the case of Ingalhalikar’s human connectome study.” Proceedings of the National Academy of Sciences 111.6 (2014): E637-E637. http://www.pnas.org/content/111/6/E637​

Antwort der Autoren: Ingalhalikar, Madhura, et al. “Reply to Joel and Tarrasch: On misreading and shooting the messenger.” Proceedings of the National Academy of Sciences (2014): 201323601. http://www.pnas.org/content/111/6/E638​

Typisch Mann, typisch Frau – typisch Ich?

Die Mosaik-Theorie – Warum es nicht DAS männliche Gehirn und DAS weibliche Gehirn gibt
Joel, Daphna, et al. “Sex beyond the genitalia: The human brain mosaic.” Proceedings of the National Academy of Sciences112.50 (2015): 15468-15473. http://www.pnas.org/content/pnas/112/50/15468.full.pdf

Methodenkritik: Del Giudice, M., Lippa, R. A., Puts, D. A., Bailey, D. H., Bailey, J. M., & Schmitt, D. P. (2015). Mosaic Brains? A Methodological Critique of Joel et al.(2015). http://cogprints.org/10046/1/Delgiudice_etal_critique_joel_2015.pdf

Antwort der Autoren: Joel, D., Persico, A., Hänggi, J., Pool, J., & Berman, Z. (2016). Reply to Del Giudice et al., Chekroud et al., and Rosenblatt: Do brains of females and males belong to two distinct populations?. Proceedings of the National Academy of Sciences, 113(14), E1969-E1970. http://www.pnas.org/content/pnas/113/14/E1969.full.pdf

weitere Antworten aus dem Fachkreis unter “This Article has a reply”-Kästchen: http://www.pnas.org/content/112/50/15468.short

Equal but not the same

Warum Geschlechterunterschiede im Gehirn wichtig sein könnten: Cahill, Larry. “Why sex matters for neuroscience.” Nature Reviews Neuroscience 7.6 (2006): 477. http://www.duluth.umn.edu/biology/documents/Meitzen2.pdf

http://dana.org/Cerebrum/2014/Equal_%E2%89%A0_The_Same__Sex_Differences_in_the_Human_Brain/
vs.
http://dana.org/Cerebrum/2014/Reaction_to_%E2%80%9CEqual_%E2%89%A0_The_Same__Sex_Differences_in_the_Human_Brain%E2%80%9D/

Sprachleitfäden und -Ressourcen

Zunächst einmal: Es gibt in Deutschland keine allgemeinen gesetzlichen Vorschriften über “erlaubte” oder “verbotene” Sprache oder Schrift. Jede Form ist erlaubt.

Ausnahme: Firmen, Behörden, Institutionen können für ihre offizielle Kommunikation in Wort und Schrift eigene Vorgaben herausgeben. Ihre Beschäftigten müssen sich daran halten, aber nur wenn sie im Namen ihrer Firma o.ä. sprechen bzw. schreiben. Ähnliches gilt für Bildungseinrichtungen.

Siehe dazu die unten verlinkten Wikipedia-Artikel als erste Anlaufstellen

Anleitungen, Tools, Gremien, Gruppen, Fachmenschen

Diskussionen und Artikel

Bücher

  • Helga Kotthoff, Damaris Nübling, Claudia Schmidt: “Genderlinguistik”, 2019, ePub-ISBN 978-3-8233-0152-3.
    Tonnenweise wissenschaftliche Quellen zum Einfluss von Sprache auf genderistisches Denken.

Offizielle Leitfäden

Videos und Dokus

Ungelesenes

Diese Quellen hab ich noch auf der Liste, um sie irgendwann zu lesen.

C.N.Lester: “Trans like me”

Charlie McNabb; “Nonbinary Gender Identities”

Sachbücher

zum Thema nicht-binär.

Lann Hornscheidt, Lio Oppenländer: “exit gender”
“Gender loslassen und strukturelle Gewalt benennen: eigene Wahrnehmung und soziale Realität verändern.”
ISBN 978-3-945644-17-1 (2019)

Sehr dicht, sehr politisch, sehr analytisch. Ein Weg aus Gender als Kategorie, der vor allem persönliche Veränderung verlangt, nämlich selbst nicht mehr “in Gender” zu denken und gleichzeitig bestehende Strukturen aufzuzeigen, die Gender als Basis für Gewalt beinhalten und für deren Abschaffung zu arbeiten.


Lann Hornscheidt, Ja’n Sammla: “Wie schreibe ich divers? Wie spreche ich gendergerecht?”
“Ein Praxis-Handbuch zu Gender und Sprache”
978-3-945644-21-8 (2021)

Kurze Grundlagen zur Forschungslage und Zweck gendergerechter Sprache und dann praktische Beispiele verschiedener Formen – inklusiv, neutral, neo – in verschiedenen Anwendungsbereichen – alltägliche, berufliche, öffentliche Kommunikation.


Christina Richards, et al.: “Genderqueer and nonbinary genders”
ISBN 978-1-137-51053-2, https://doi.org/10.1057/978-1-137-51053-2 (2017)

Systematisch strukturierte Essays, die sortiert in den Themenblöcken Societies, Minds und Bodies die Lage und Möglichkeiten nicht-binärer Menschen beschreiben.


Kate Bornstein: “My New Gender-Workbook”
ISBN 978-0-203-10903-8 (ebook, 2013)

Ex-Gender

Meine persönliche Einordnung und Beziehung zu dem Haufen an Bezeichnungen rund um Gender. Wird ggf. erweitert, wenn ich es für nötig halte.

tl;dr triff keine Annahmen über mich, die irgendwie mit Gender, Geschlecht, Körperlichkeit o.ä. zu tun haben. Nimm mein Aussehen und Verhalten ausschliesslich im hier und jetzt für sich selbst stehend, ohne dass du daraus irgendetwas anderes schliessen kannst. Genauso werde ich es mit dir halten.


Gender: Hab ich nicht. Ein alldurchdringendes System von Zuschreibungen (Eigenschaften) und Anforderungen/Erwartungen/Konventionen (Verhalten), das in jeder Gesellschaft irgendwie vorhanden ist, aber in Zeit und Region stark variieren kann.
Klassisch basierend auf wissenschaftlich nicht haltbaren Vermutungen, aufgrund körperlicher Merkmalen rund um biologische Re_produktion (die per Konvention stets durch Kleidung verhüllt werden), eingeschränkt auf nur zwei idealtypische Stereotypen, die bei genauerem Hinsehen von kaum einem echten Menschen wirklich erfüllt werden.
D.h. wann immer eine Person in Bezug zu Gender gesetzt wird, aktiviert dies eine große Anzahl an Annahmen über und Erwartungen an diese Person, die alle Lebensbereiche umfasst. Welche genau ist per “Tradition” recht willkürlich festgelegt. Durch die Alldurchdringung haben viele Menschen aber den Eindruck einer Naturgegebenheit, die wie gesagt wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden kann.
Auch wenn die meisten Menschen sich cis-gender empfinden – sie fühlen sich mit der bei Geburt zugewiesen (sozialen) Gruppe zugehörig – ist Gender eigentlich unabhängig von Geburtskörper, Chromosomen, etc.: Gender ist nichts biologisches.

Non-binary, nicht-binär, abinär, Enby: Trifft zu. Heisst aber nur “(irgendwo) ausserhalb der beiden ehemals einzigen Kategorien (m, w)”. Auch “nicht jederzeit bzw. 100%ig einer der beiden zugeordnet, zuordbar”. Mit anderen Worten: In welcher Form auch immer gehöre ich auf jeden Fall weder in den Kasten “männlich”, noch in den Kasten “weiblich”.

Trans: Bin ich. Und zwar weil ich dem mir nach der Geburt per körperlicher Beschau zugewiesenen Gender nicht entspreche, nicht zugehörig fühle, nicht in die Gruppe einordnen lasse.

Demigender: Von “demi” (gr: halb). Übersetzt: “Hat so ein bisschen gender, aber passt nicht wirklich”. Passt nicht auf mich, weil es mich wieder in Beziehung zum binären System setzen würde und mir damit den ganzen Klumpatsch wieder mit anhängt: “Ist so halb-(männlich/weiblich) ⇒ hat dann wohl auch folgende Eigenschaften”.

(Gender-/Geschlechts-)Identität: Nope. Gender ist eine soziale Kategorie, und dazu eine, mit der ich nix anfangen kann. Maximal ein marginaler Aspekt meiner Persönlichkeit – sobald ich weiss, wie sich Gender anfühlt. Meine Identität finde ich in meinen Überzeugungen (Glaubenssätzen, Prinzipien). Meine relative Verortung zu den binären Genderkategorien gehört nicht dazu, ausser, dass ich damit weder etwas anfangen kann, noch irgendwie damit zugeordnet werden möchte.

(Geschlechts-/Gender-)Empfinden: Hab ich auch nicht. Keine Ahnung, wie sich “ein Mann als Mann fühlt” oder “eine Frau als Frau”. Was mir an Stereotypen angeboten wird, ist in beiden Fällen weder attraktiv, noch hinreichend. Überall gibt es positive Eigenschaften, die aber sofort mit negativen verknüpft sind. Ich lehne deshalb die Einordnung in oder relativ zu den binären Kategorien ab.

Agender, None-Gender, No-Gender: “Ich habe gar kein Gender”. Käme noch am ehesten hin.
Bewegt sich aber noch als Variante innerhalb einer gender-awaren Welt, also auch in Beziehung dazu und mit Bewusstsein über die (binären) Kategorien. D.h. auch ständigen struggle mit der Selbst- und Fremdeinordnung durch gegenderte Signale (Körper, Klamotten, Verhalten).
Analog zum Atheismus, der sich in einer Welt religiöser Menschen ständig erklären und rechtfertigen muss, weil jedes Verhalten religiös interpretiert wird.
Genau so wird von gendernden Menschen jedes Verhalten, jeder Körper und jede Aufmachung durch die Gender-Filter-Brille betrachtet, gelesen und eingeordnet – und resultiert in fremd-genderndem Verhalten.
Die übliche Frage, “aber bist du nun männlich-agender oder weiblich-agender” ist deshalb so nachvollziehbar, wie unsinnig, ähnlich wie “aber bist du jetzt odin-nichtreligiös oder zeus-nichtreligiös”.

Ex-Gender: Das trifft’s. Ich bin raus. Ich schliesse mich Rae Spoon’s “Gender Retirement” an und lasse die gegenderte und gendernde Welt hinter mir, wo immer möglich.

To me, gender retirement is the refusal to identify myself within the gender binary. […]
A radio interviewer once asked me, “Do you feel more like a man some days and more like a woman on others?”
“No, I’m not really either,” I said.
“Not one more than the other?”
Questions like this are used to insinuate that there is no way to live outside of the binary, only in-between its opposite poles. The whole point of changing my pronoun to the gender-neutral “they” was to state that I feel like neither. Yet almost every day, I am expected to declare myself as either a man or woman or, at the very least, somewhere in the spectrum in between. To me, gender retirement is very much about refusing to be put on that spectrum.
So far, I would highly recommend retiring from gender to anyone who is feeling like the spectrum or the binary doesn’t fit. […] I don’t think that gender retirement need only be available to people who identify as trans. Ideally, some sort of opt-out plan would be implemented for people who want to accept only part of their roles in the binary, but not buy into everything expected of them. There is no retirement home for gender, but I like to think that the less I expect others to conform to the expectations of the binary and the more I refuse to participate in it, the closer my dream of true gender retirement is to reality.

Rae Spoon, Iva Coyote: “Gender Failure”, ISBN 978-1-55152-537-2 (epub)

Ausführlicher, praktischer und politischer schreiben Lann Hornscheidt und Lio Oppenländer in “exit gender”:

Exgendern meint jegliches Handeln, welches Gender loslässt, Genderbilder nicht wieder aufruft und Gender-Zuschreibungen sein lässt [um genderistische Gewalt zu vermeiden].
Exgendern ist etwas anderes als entgendern: Entgendern findet statt, wenn Menschen eine (mögliche) Genderidentität abgesprochen wird.
[…]
Unser zweiter strategischer Schwerpunkt ist, genderistische [=auf Genderzuschreibungen basierende, diskriminierende] Gewaltstrukturen wahrzunehmen und sie als solche zu benennen.

Lann Hornscheidt, Lio Oppenländer: “exit gender”, ISBN 978-3-945644-17-1

Bottom line: Ich habe mich abgemeldet aus dem Spiel, dem Kult, der Ideologie der sozialen Klassifikation namens Gender, bei der Menschen, Dinge und Handlungen ohne Sinn und Nutzen, aber häufig in vielfacher Hinsicht benachteiligend eingeteilt bzw. ausgegrenzt werden.

Genderndes Verhalten bzw. Zuschreibungen mir gegenüber empfinde ich als gewaltvoll und respektlos. Es verärgert mich und ich werde es benennen.

Ich kann mich durch mein gesellschaftliches Training anderen Menschen gegenüber gendernd verhalten, werde dies aber höchstens tun, wenn von ihnen explizit gewünscht, zum Beispiel bei Anreden.

Was ist das Problem mit “divers”?

Eine kleine FAQ. Wird gelegentlich erweitert.

“Divers” bedeutet ins deutsche übersetzt ja eigentlich nichts anderes als “anders” oder “verschiedenes”. Wo bitte ist das Problem?

Das Problem ist tatsächlich, durch die Bezeichnung noch mal ausgegrenzt zu werden. “Andere”, “sonstige”, “unter ferner liefen”. Fremd, seltsam, aussen vor. Also nicht inklusiv. Mag sprachlich spitzfindig aussehen, aber es geht bei der ganzen Sache um Anerkennung, Teilhabe, etc. Die Verfassungsbeschwerde zur dritten Option hatte ja das Ziel eines _positiven_ nicht-binären Geschlechtseintrags statt des “Nichts”, dass seit 2013 in der vierten Option – Streichung – steckt.

Angenommen ich habe in meinem Ausweis dieses “3. Geschlecht” eingetragen, wer sieht das denn außer vielleicht der Polizei, wenn ich mal z.B. die erlaubte Geschwindigkeit übertreten habe?

Fun fact: Im Perso steht es nicht und auf der Fahrerlaubnis auch nicht. Nur im Reisepass (“X”). D.h. ich habe ausser der neuen Geburtsurkunde (und meiner Gesundheitskarte) kein offizielles Dokument, um meinen “divers” Eintrag nachzuweisen. Deshalb habe ich immer noch den dgti Ergänzungsausweis dabei.

Es wurde mir bisher auch immer so geglaubt. Ich muss es aber immer sagen, denn die meisten Menschen kommen nicht mal auf die Idee, dass die Person ihnen gegenüber nicht-binär sein könnte, sondern gehen nach den erlernten Gendersignalen.

Die Zahlen sind missweisend

Bei den Zahlen sind aber die offiziellen “divers”-Einträge missweisend. Das liegt an mehreren Gesetzen, unzureichenden Ressourcen und persönlichen Befürchtungen.

Erstens wollen sich viele inter Personen trotz ihres inneren Gefühls, wegen ihrer traumatischen Erfahrungen mit medizinischem und amtlichem System nicht durch einen offiziellen Eintrag noch mal auffindbar und potenziell angreifbar machen. Vergleiche mal, wie viele trans Personen nach ihrer Transition sich offensiv als trans outen. Es sind auch nicht alle inter Personen nicht-binär.

Zweitens haben viele nicht-binäre Personen aktuell praktisch keine Möglichkeit, den Eintrag zu erhalten, weil sie nicht inter sind. Die Problematik mit fehlenden oder unzureichenden Therapeutys, Gutachtys, sowie mit Kassen und MDK sind ungleich größer, wenn ein sich nicht binär einordnet.

Es ist aber bekannt, dass alleine von den Personen, die sich irgendwie bei Therapeutys wegen trans vorstellen, sich >30% als nicht-binär verorten (sagt die S3 Leitlinie, Stand um 2014, weltweit ziemlich einheitlich). Das wären mindestens 500 neue pro Jahr (bei 1700 GaOP/Jahr in D). Da nicht alle trans Personen sich operieren lassen und nicht mal alle sich bei Therapeutys melden, werden es mehr sein.

Also: inter und nicht-binär hat nicht zwingend was miteinander zu tun (sagt die Wissenschaft). Der Geschlechtseintrag soll das Geschlechtsempfinden einer Person abbilden, nicht die Körperlichkeit (sagt das Verfassungsgericht). Es gibt reichlich viel mehr nicht-binäre Personen, als offiziell den Eintrag haben oder erreichen können (wissen alle, die in der nicht-binären Community unterwegs sind).

Meine praktische Erfahrung ist, dass ich mich ständig neu outen muss. Grund siehe oben. Je nach optischer Aufmachung werde ich mit mehr oder weniger Druck binär eingeordnet, bis ich mich wehre. Und nicht mal ich habe immer die Energie dafür. Ich kenne ne Menge nicht-binäre, die sich das gar nicht trauen, sondern lieber weiter für sich leiden.