Sachbücher

zum Thema nicht-binär.

Lann Hornscheidt, Lio Oppenländer: „exit gender“
„Gender loslassen und strukturelle Gewalt benennen: eigene Wahrnehmung und soziale Realität verändern.“
ISBN 978-3-945644-17-1 (2019)

Sehr dicht, sehr politisch, sehr analytisch. Ein Weg aus Gender als Kategorie, der vor allem persönliche Veränderung verlangt, nämlich selbst nicht mehr „in Gender“ zu denken und gleichzeitig bestehende Strukturen aufzuzeigen, die Gender als Basis für Gewalt beinhalten und für deren Abschaffung zu arbeiten.


Lann Hornscheidt, Ja’n Sammla: „Wie schreibe ich divers? Wie spreche ich gendergerecht?“
„Ein Praxis-Handbuch zu Gender und Sprache“
978-3-945644-21-8 (2021)

Kurze Grundlagen zur Forschungslage und Zweck gendergerechter Sprache und dann praktische Beispiele verschiedener Formen – inklusiv, neutral, neo – in verschiedenen Anwendungsbereichen – alltägliche, berufliche, öffentliche Kommunikation.


Christina Richards, et al.: „Genderqueer and nonbinary genders“
ISBN 978-1-137-51053-2, https://doi.org/10.1057/978-1-137-51053-2 (2017)

Systematisch strukturierte Essays, die sortiert in den Themenblöcken Societies, Minds und Bodies die Lage und Möglichkeiten nicht-binärer Menschen beschreiben.


Kate Bornstein: „My New Gender-Workbook“
ISBN 978-0-203-10903-8 (ebook, 2013)

Ex-Gender

Meine persönliche Einordnung und Beziehung zu dem Haufen an Bezeichnungen rund um Gender. Wird ggf. erweitert, wenn ich es für nötig halte.

tl;dr triff keine Annahmen über mich, die irgendwie mit Gender, Geschlecht, Körperlichkeit o.ä. zu tun haben. Nimm mein Aussehen und Verhalten ausschliesslich im hier und jetzt für sich selbst stehend, ohne dass du daraus irgendetwas anderes schliessen kannst. Genauso werde ich es mit dir halten.


Gender: Hab ich nicht. Ein alldurchdringendes System von Zuschreibungen (Eigenschaften) und Anforderungen/Erwartungen/Konventionen (Verhalten), das in jeder Gesellschaft irgendwie vorhanden ist, aber in Zeit und Region stark variieren kann.
Klassisch basierend auf wissenschaftlich nicht haltbaren Vermutungen, aufgrund körperlicher Merkmalen rund um biologische Re_produktion (die per Konvention stets durch Kleidung verhüllt werden), eingeschränkt auf nur zwei idealtypische Stereotypen, die bei genauerem Hinsehen von kaum einem echten Menschen wirklich erfüllt werden.
D.h. wann immer eine Person in Bezug zu Gender gesetzt wird, aktiviert dies eine große Anzahl an Annahmen über und Erwartungen an diese Person, die alle Lebensbereiche umfasst. Welche genau ist per „Tradition“ recht willkürlich festgelegt. Durch die Alldurchdringung haben viele Menschen aber den Eindruck einer Naturgegebenheit, die wie gesagt wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden kann.
Auch wenn die meisten Menschen sich cis-gender empfinden – sie fühlen sich mit der bei Geburt zugewiesen (sozialen) Gruppe zugehörig – ist Gender eigentlich unabhängig von Geburtskörper, Chromosomen, etc.: Gender ist nichts biologisches.

Non-binary, nicht-binär, abinär, Enby: Trifft zu. Heisst aber nur „(irgendwo) ausserhalb der beiden ehemals einzigen Kategorien (m, w)“. Auch „nicht jederzeit bzw. 100%ig einer der beiden zugeordnet, zuordbar“. Mit anderen Worten: In welcher Form auch immer gehöre ich auf jeden Fall weder in den Kasten „männlich“, noch in den Kasten „weiblich“.

Trans: Bin ich. Und zwar weil ich dem mir nach der Geburt per körperlicher Beschau zugewiesenen Gender nicht entspreche, nicht zugehörig fühle, nicht in die Gruppe einordnen lasse.

Demigender: Von „demi“ (gr: halb). Übersetzt: „Hat so ein bisschen gender, aber passt nicht wirklich“. Passt nicht auf mich, weil es mich wieder in Beziehung zum binären System setzen würde und mir damit den ganzen Klumpatsch wieder mit anhängt: „Ist so halb-(männlich/weiblich) ⇒ hat dann wohl auch folgende Eigenschaften“.

(Gender-/Geschlechts-)Identität: Nope. Gender ist eine soziale Kategorie, und dazu eine, mit der ich nix anfangen kann. Maximal ein marginaler Aspekt meiner Persönlichkeit – sobald ich weiss, wie sich Gender anfühlt. Meine Identität finde ich in meinen Überzeugungen (Glaubenssätzen, Prinzipien). Meine relative Verortung zu den binären Genderkategorien gehört nicht dazu, ausser, dass ich damit weder etwas anfangen kann, noch irgendwie damit zugeordnet werden möchte.

(Geschlechts-/Gender-)Empfinden: Hab ich auch nicht. Keine Ahnung, wie sich „ein Mann als Mann fühlt“ oder „eine Frau als Frau“. Was mir an Stereotypen angeboten wird, ist in beiden Fällen weder attraktiv, noch hinreichend. Überall gibt es positive Eigenschaften, die aber sofort mit negativen verknüpft sind. Ich lehne deshalb die Einordnung in oder relativ zu den binären Kategorien ab.

Agender, None-Gender, No-Gender: „Ich habe gar kein Gender“. Käme noch am ehesten hin.
Bewegt sich aber noch als Variante innerhalb einer gender-awaren Welt, also auch in Beziehung dazu und mit Bewusstsein über die (binären) Kategorien. D.h. auch ständigen struggle mit der Selbst- und Fremdeinordnung durch gegenderte Signale (Körper, Klamotten, Verhalten).
Analog zum Atheismus, der sich in einer Welt religiöser Menschen ständig erklären und rechtfertigen muss, weil jedes Verhalten religiös interpretiert wird.
Genau so wird von gendernden Menschen jedes Verhalten, jeder Körper und jede Aufmachung durch die Gender-Filter-Brille betrachtet, gelesen und eingeordnet – und resultiert in fremd-genderndem Verhalten.
Die übliche Frage, „aber bist du nun männlich-agender oder weiblich-agender“ ist deshalb so nachvollziehbar, wie unsinnig, ähnlich wie „aber bist du jetzt odin-nichtreligiös oder zeus-nichtreligiös“.

Ex-Gender: Das trifft’s. Ich bin raus. Ich schliesse mich Rae Spoon’s „Gender Retirement“ an und lasse die gegenderte und gendernde Welt hinter mir, wo immer möglich.

To me, gender retirement is the refusal to identify myself within the gender binary. […]
A radio interviewer once asked me, “Do you feel more like a man some days and more like a woman on others?”
“No, I’m not really either,” I said.
“Not one more than the other?”
Questions like this are used to insinuate that there is no way to live outside of the binary, only in-between its opposite poles. The whole point of changing my pronoun to the gender-neutral “they” was to state that I feel like neither. Yet almost every day, I am expected to declare myself as either a man or woman or, at the very least, somewhere in the spectrum in between. To me, gender retirement is very much about refusing to be put on that spectrum.
So far, I would highly recommend retiring from gender to anyone who is feeling like the spectrum or the binary doesn’t fit. […] I don’t think that gender retirement need only be available to people who identify as trans. Ideally, some sort of opt-out plan would be implemented for people who want to accept only part of their roles in the binary, but not buy into everything expected of them. There is no retirement home for gender, but I like to think that the less I expect others to conform to the expectations of the binary and the more I refuse to participate in it, the closer my dream of true gender retirement is to reality.

Rae Spoon, Iva Coyote: „Gender Failure“, ISBN 978-1-55152-537-2 (epub)

Ausführlicher, praktischer und politischer schreiben Lann Hornscheidt und Lio Oppenländer in „exit gender“:

Exgendern meint jegliches Handeln, welches Gender loslässt, Genderbilder nicht wieder aufruft und Gender-Zuschreibungen sein lässt [um genderistische Gewalt zu vermeiden].
Exgendern ist etwas anderes als entgendern: Entgendern findet statt, wenn Menschen eine (mögliche) Genderidentität abgesprochen wird.
[…]
Unser zweiter strategischer Schwerpunkt ist, genderistische [=auf Genderzuschreibungen basierende, diskriminierende] Gewaltstrukturen wahrzunehmen und sie als solche zu benennen.

Lann Hornscheidt, Lio Oppenländer: „exit gender“, ISBN 978-3-945644-17-1

Bottom line: Ich habe mich abgemeldet aus dem Spiel, dem Kult, der Ideologie der sozialen Klassifikation namens Gender, bei der Menschen, Dinge und Handlungen ohne Sinn und Nutzen, aber häufig in vielfacher Hinsicht benachteiligend eingeteilt bzw. ausgegrenzt werden.

Genderndes Verhalten bzw. Zuschreibungen mir gegenüber empfinde ich als gewaltvoll und respektlos. Es verärgert mich und ich werde es benennen.

Ich kann mich durch mein gesellschaftliches Training anderen Menschen gegenüber gendernd verhalten, werde dies aber höchstens tun, wenn von ihnen explizit gewünscht, zum Beispiel bei Anreden.

Was ist das Problem mit „divers“?

Eine kleine FAQ. Wird gelegentlich erweitert.

„Divers“ bedeutet ins deutsche übersetzt ja eigentlich nichts anderes als „anders“ oder „verschiedenes“. Wo bitte ist das Problem?

Das Problem ist tatsächlich, durch die Bezeichnung noch mal ausgegrenzt zu werden. „Andere“, „sonstige“, „unter ferner liefen“. Fremd, seltsam, aussen vor. Also nicht inklusiv. Mag sprachlich spitzfindig aussehen, aber es geht bei der ganzen Sache um Anerkennung, Teilhabe, etc. Die Verfassungsbeschwerde zur dritten Option hatte ja das Ziel eines _positiven_ nicht-binären Geschlechtseintrags statt des „Nichts“, dass seit 2013 in der vierten Option – Streichung – steckt.

Angenommen ich habe in meinem Ausweis dieses „3. Geschlecht“ eingetragen, wer sieht das denn außer vielleicht der Polizei, wenn ich mal z.B. die erlaubte Geschwindigkeit übertreten habe?

Fun fact: Im Perso steht es nicht und auf der Fahrerlaubnis auch nicht. Nur im Reisepass („X“). D.h. ich habe ausser der neuen Geburtsurkunde (und meiner Gesundheitskarte) kein offizielles Dokument, um meinen „divers“ Eintrag nachzuweisen. Deshalb habe ich immer noch den dgti Ergänzungsausweis dabei.

Es wurde mir bisher auch immer so geglaubt. Ich muss es aber immer sagen, denn die meisten Menschen kommen nicht mal auf die Idee, dass die Person ihnen gegenüber nicht-binär sein könnte, sondern gehen nach den erlernten Gendersignalen.

Die Zahlen sind missweisend

Bei den Zahlen sind aber die offiziellen „divers“-Einträge missweisend. Das liegt an mehreren Gesetzen, unzureichenden Ressourcen und persönlichen Befürchtungen.

Erstens wollen sich viele inter Personen trotz ihres inneren Gefühls, wegen ihrer traumatischen Erfahrungen mit medizinischem und amtlichem System nicht durch einen offiziellen Eintrag noch mal auffindbar und potenziell angreifbar machen. Vergleiche mal, wie viele trans Personen nach ihrer Transition sich offensiv als trans outen. Es sind auch nicht alle inter Personen nicht-binär.

Zweitens haben viele nicht-binäre Personen aktuell praktisch keine Möglichkeit, den Eintrag zu erhalten, weil sie nicht inter sind. Die Problematik mit fehlenden oder unzureichenden Therapeutys, Gutachtys, sowie mit Kassen und MDK sind ungleich größer, wenn ein sich nicht binär einordnet.

Es ist aber bekannt, dass alleine von den Personen, die sich irgendwie bei Therapeutys wegen trans vorstellen, sich >30% als nicht-binär verorten (sagt die S3 Leitlinie, Stand um 2014, weltweit ziemlich einheitlich). Das wären mindestens 500 neue pro Jahr (bei 1700 GaOP/Jahr in D). Da nicht alle trans Personen sich operieren lassen und nicht mal alle sich bei Therapeutys melden, werden es mehr sein.

Also: inter und nicht-binär hat nicht zwingend was miteinander zu tun (sagt die Wissenschaft). Der Geschlechtseintrag soll das Geschlechtsempfinden einer Person abbilden, nicht die Körperlichkeit (sagt das Verfassungsgericht). Es gibt reichlich viel mehr nicht-binäre Personen, als offiziell den Eintrag haben oder erreichen können (wissen alle, die in der nicht-binären Community unterwegs sind).

Meine praktische Erfahrung ist, dass ich mich ständig neu outen muss. Grund siehe oben. Je nach optischer Aufmachung werde ich mit mehr oder weniger Druck binär eingeordnet, bis ich mich wehre. Und nicht mal ich habe immer die Energie dafür. Ich kenne ne Menge nicht-binäre, die sich das gar nicht trauen, sondern lieber weiter für sich leiden.

Links zu HET

HET heisst Hormonersatztherapie. Im trans Kontext bedeutet das, die körpereigenen Sexualhormone durch „die anderen“ zu ersetzen. Meine persönlichen Erfahrungen beziehen sich auf „Estradiol-Monotherapie“. D.h. ausschliesslich durch Zufuhr von ausreichend Estradiol die entsprechende Umstellung zu erreichen.

Die folgenden Links finde ich hilfreich und nutze sie häufig, um Dinge nachzuschlagen oder sie anderen weiterzugeben. Die Liste wird bei Bedarf angepasst.

Basisinfos

Wissenschaftliches

DIY, Nerd Science

DIY = „do it yourself“, also selbst organisierte Hormostherapie ist möglich und viele machen es. Es bedeutet aber auch volle Verantwortung für alles, was schief gehen kann, und das ist ne Menge. Deshalb: Use at your own risk.

Lieblings-exGendern a’la Jaddy

Es gibt bereits verschiedenste Vorschläge, wie in der stark binär gegenderten deutschen Sprache neutral geschrieben und gesprochen werden kann, also für den Fall, dass das Geschlecht einer Person oder Gruppe

  • unbekannt ist,
  • nichts zur Sache tut,
  • offen gelassen werden soll,
  • inklusiv (alle Gender) gemeint ist,
  • oder die Person nicht-binär ist (wie ich)

Hier meine (ab und zu aktualisierten) Lieblingsformen, die ich am liebsten verwende, und die für mich verwendet werden sollten.

Pronomen, etc.

BinärAbinär/neutralBeispiel
er/sie/esenDas ist Jaddy. En ist nett.
der/die/dasdeJaddy ist de nette Mensch da drüben(1)
ihm/ihr/ihmenDas ist Jaddys Handy, es gehört en.
sein/ihr/seinensDas ist ens Handy
eine/einere(y)Ist Jaddy e Ärzty?(2)

(1) Lehnt sich an engl. „the“ und plattdeutsch „de“(m/f) an (plattd. „dat“ = „das“).
(2) Lehnt sich an engl. „a“ an, passt phonetisch zu „en“ und funktioniert am besten bei bisher gegenderten Gruppenbezeichnungen. Zum Beispiel alt: „Ich gehe zu einem Arzt, einer Ärztin“ würde zu neu „Ich gehe zu ey Ärzty“.

Gegenderte Substantive / Bezeichnungen

Mit -y (Singular) und -ys (Plural): Lehry, Ärztys.

Vorgeschlagen und lange Zeit praktiziert von H.Phettberg, formalisiert und vorgestellt von Thomas Kronschläger (youtube1 youtube2). Meiner Meinung nach aber konsequent mit neutralen bzw. neuen Pronomen wie oben: De Lehry, de Ärztys.

„Man“ wird „ein“

„Das kann man so machen“ ➞ „Das kann ein so machen“.
Wie „one“ im englischen oder „een“ im plattdeutschen.

Weniger gut: Alte, neutralisierte oder inkludierende Formen

Hier steckt häufig binäre Sprache drin, die auch binäre Denkmuster aktiviert. Ich empfinde sie nur als Notlösung, um Diskussionen zu vermeiden.

  • Name statt Pronomen[sic!]. „Das ist Jaddy. Jaddy ist nett. Das ist Jaddys Handy, es gehört Jaddy“
  • „Substantivierte Partizipien“: Lehrende, Studierende. Ja, mit Ärztys geht das nicht.
  • Gender•gap mit * _ : • wie in Lehrer:in, Ärzt•innen, Schüler*in. Wird gesprochen wie bei Spiegel•ei und The•ater. Die meisten Vorleseprogramme kommen mit dem Doppelpunkt anscheinend am besten zurecht und lesen ihn korrekt als kurze Pause.

Quellen zu anderen Formen

Siehe auch Sprachleitfäden und -Ressourcen

Wird beizeiten erweitert, verändert, modernisiert 🙂

Hallo Welt!

Hier werden gelegentlich Gedanken materialisiert. Normalerweise gegendert, aus Gründen. Ich – Jaddy – bin dankbar für hilfreiche Kommentare, Hinweise, virtual hugs und andere konstruktive Beiträge.